Dienstag, 22. März 2016
Die letzten zwei Monate...
Bald ist unsere Zeit hier vorbei. Was tun wir in der verbleibenden Zeit, was bleibt noch zu sehen und zu erleben, zu lernen und zu erledigen? Es gibt viele unverwirklichte Pläne und viele, die es wohl bleiben werden. Wir haben viel gearbeitet für die Schule hier, eine Handvoll Ausflüge unternommen, ein Haus eingerichtet, sind Teil der Großfamilie geworden. Und doch nicht wirklich. Wir sind anders als die anderen, werden es immer bleiben und wir sind die Minderheit. Normal ist, was die Mehrheit tut. Das ist überall so, auch in Deutschland. Nur war zumindest ich dort ein Teil der Mehrheit und da Berlin von jeher bunt gemischt ist, auch die Kinder. Die Kinder haben gelernt, mit dem sozialen System hier zurechtzukommen, wenn sie auch nicht alles gut finden. Es geht hier sehr viel darum, sich gegen andere durchzusetzen und wer sich durchsetzt, ist beliebt und hat Recht. Wenn es zu ungerecht zugeht oder den sozialen Grundsätzen des Islam zuwiderläuft, greifen Erwachsene ein. Aber jeder freut sich über das eigene Kind, das die Nase vorn hat - wie wohl überall. Nur ist es erstmal egal, mit welchen Mitteln es dies erreicht - nicht wie überall.

Wir werden hier noch zweimal Prüfungen zu bewältigen haben, die letzten sind die wichtigsten, die Jahresabschlussprüfungen. Dann entscheidet sich, wer bestanden hat und wer durchgefallen ist. Die Grenze liegt bei 50%. Wer in einem der Hauptfächer Arabisch, Mathematik, Englisch, Sachkunde oder Religion weniger Punkte erreicht, kann nur in Ausnahmefällen und nach Konferenzen in die nächste Klassenstufe gehen.

Vielleicht machen wir noch einen Ausflug oder zwei, vielleicht lerne ich noch ein wenig mehr Arabisch, vielleicht gibt es noch etwas zu entdecken, von dem ich noch nichts weiß. Vielleicht ist und bleibt meine Aufgabe hier, die Kinder in ihren Aufgaben für die Schule und in der arabischen Gesellschaft zu begleiten.

Was bleibt, ist:
1. Viel Bewunderung für die Menschen hier, besonders die Frauen, die ein Leben fernab von Bildung und Erlebnissen führen, die jeden Tag fürs Überleben kämpfen, mit viel Geduld und Energie, mit Improvisationstalent und stoischer Zuversicht, die Schicksalsschläge hinnehmen, alles in festem Glauben an ihre Religion, daran, dass alles im Leben einen höheren, einen gottgewollten Sinn hat und daraus schier unendliche Kraft schöpfen.
2. Das Bewusstsein, dass Deutschland ein freies Land ist, für Männer, Frauen und alle, die anders aussehen, anders denken und anders leben wollen. Dies natürlich mit Grenzen, aber im Großen und Ganzen kann jeder sein Konzept leben, was nicht überall in der Welt selbstverständlich ist. Und dass Deutschland ein Paradies ist, was Lebensstandard und soziale Absicherung angeht - auch für die, denen eine gute materielle Absicherung fehlt.
3. Dass Ausländer sein überall schwer ist; Weil man gesetzliche Vorgaben zu erfüllen hat, ohne sie vollständig zu verstehen, weil es Sprachbarrieren gibt, die isolieren, weil andere den Hilfebedarf nicht unbedingt sehen, weil man die Minderheit ist, die anders aussieht, anders denkt, anders handelt und entsprechend neugierig bis misstrauisch beäugt wird.
4. Die Gewissheit, dass es viel Zeit brauchen wird, alle Eindrücke und Erfahrungen zu verstehen und genau zu wissen, was von dem Leben hier ich vermissen werde und was eher nicht...

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Frühling!
Der Frühling in Jordanien kommt ein wenig früher als in Deutschland, läuft aber im Wesentlichen genauso ab. Die Bäume blühen und treiben Blätter, die Pflanzen und das Gras wächst schneller und üppiger als im Winter, die Vögel bauen Nester und einige kommen aus dem Süden zurück. Auch die Menschen gehen wieder mehr nach draußen, Neugeborene werden zum ersten Mal mitgenommen an die frische Luft. Für Säuglinge und Kleinkinder ist die Kälte hier ein gefürchteter Feind. Die Häuser sind zugig und feucht, eine wirklich effektive Heizung gibt es nur in Luxusgebäuden. Ist auch nicht nötig, sollte man meinen, heißt Kälte hier doch: Temperaturen nachts um den Nullpunkt, tagsüber zwischen zwei und zehn Grad und das nur über drei bis vier Monate. Aber wenn dann noch Wind und Regen hinzukommen, fühlt sich das schon an wie Minus fünf. Wenn es dann auch noch mehr als drei Tage andauert, wird nichts mehr warm und trocken.
Feuchte Wände begünstigen Schimmelbildung und sichtdicht abgedeckte Fenster verhindern einen gesunden Luftaustausch. Lüften ist ohnehin keine sehr beliebte Angelegenheit. Gerüchte und Keime werden dann eher mit viel Chlor und Geruchsverbesserern bearbeitet.
Kinder und Frauen bleiben bei Kälte besser drin, damit sie nicht krank werden; obwohl es in den Räumen oft nicht viel wärmer ist als draußen. Dazu kommt, dass sich Kinder außerhalb des Hauses mehr bewegen und besser angezogen sind, was meiner Ansicht nach eine deutlich effektivere Prophylaxe gegen diverse Infektionen ist - wenn es von Anfang an praktiziert wird.
Aber gut, andere Länder...

Jetzt ist der Frühling aber da und hat uns schon die ersten richtig warmen Tage beschert, leider kam vorgestern ein kalter Wind und hat sie gestern erstmal wieder weggeblasen. Aber ganz sicher nur vorübergehend. Die Sonne scheint jetzt schon wieder an die zehn Stunden täglich und wird bald ihre ganze Kraft entfalten. Bis der trockenheiße Sommer die Macht übernimmt und alles Grün und Blühen nur noch vom fleißigen Wässern der Menschen abhängt. Draußen bleibt dann die rote, steinige Wüste, wie wir sie vorfanden, als wir im letzten Sommer hier ankamen.
Jetzt aber freuen wir uns auf den nächsten Sommer, und zwar nicht ganz so heiß und nicht ganz so trocken und grüner, blühender, regnerischer - in Deutschland.

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